Natürlich haben sie die Diskussion über die Thesen von Thilo Sarrazin über Türkendominanz und Integrationsunwilligkeit von Muslimen verfolgt. Muhammed Sahin, Baris Alayin, Sefanur Yalcin und Gökce Tatar könnten das als Affront verstehen. Oder als Bestätigung dafür, dass sie gerade das Gegenteil sind. Sie könnten die Sarrazins und Stammtischbrüder dieser Republik auch ignorieren.
Genau das tun sie.
„Es trifft auf uns nicht zu“, sagt Muhammed, 18, Zwölftklässler an der Fritz-Erler-Schule. Baris ist 17, geht auf die Heinrich-Wieland-Schule. Sefanur, 18, und Gökce, 17, besuchen die Oberstufe
der Ludwig-Erhard-Schule. Studieren wollen sie alle vier. Ihr Migrationshintergrund ist die Türkei. Sefanur ist bereits deutscher Staatsbürger, die anderen werden sich wohl zu diesem Schritt
entscheiden. „Ich bin hier geboren, aufgewachsen, habe deutsche Freunde, und wenn ich in die Türkei in Urlaub gehe, werde ich sofort als ,Deutschländer’ betrachtet“, sagt Muhammad.
EU unterstützt Projekt
Alle vier sind sie überzeugte Muslime und seit jüngstem sogenannte Dialogbeauftragte. Vier von acht innerhalb des Moscheevereins an der Fatih-Moschee, dem größten islamischen Gotteshaus
Pforzheim, eingeweiht 1992, weithin sichtbar an der Bundesstraße 10 Richtung Eutingen. Und weil alles in Deutschland seine Ordnung haben muss, gibt’s dafür auch ein Zertifikat, ein schriftlicher
Beweis dafür, dass sich muslimische Frauen und Männer in einem Projekt engagiert haben, das dem interreligiösen Dialog und der Integration dienen soll. „proDialog“ heißt es, steht unter der
Federführung der mitgliederstärksten Migrantenorganisation in Deutschland, DITIB, und wird unterstützt mit Mitteln der Europäischen Union und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Zehn Wochen, jeden Sonntag von 10 bis 18 Uhr, büffelten die Teilnehmer in Heidelberg. Sie lernten den Umgang mit Medien, wappneten sich für Fragen, die Moslems immer wieder gestellt werden und in
ihrer Simplifizierung für Missverständnisse anfällig sind. Natürlich stand auch Moscheekunde auf dem Stundenplan für die 60 Teilnehmer aus Nordbaden. Der Beginn dieses zweiten Blocks lag eine
Woche nach dem ersten Seminar, ebenfalls in Heidelberg, wo bei 250 Interessenten aus ganz Baden-Württemberg erst einmal in persönlichen Interviews neben Islam-Grundkenntnissen profunde
Deutsch-Kenntnisse nachweisen mussten. Osman Sahin, Vorstandsmitglied des Moscheevereins, packte diese Hürde nicht. Er nimmt es mit Fassung und ist stolz auf den Moschee-Nachwuchs.
Gleiche Wurzeln
Bestandteil von „proDialog“ war auch der Besuch einer Synagoge (in Mannheim), einer katholischen und einer evangelischen Kirche (in Heidelberg). „Schließlich“, sagt Muhammad Sahin, „geht es um
die interreligiöse Zusammenarbeit und darum, dass die abrahamitischen Religionen die gleichen Wurzeln haben“ – Judentum, Christentum und Islam. Am neunten Seminartag der Abschlusstest, am zehnten
das Überreichen des Zertifikats.
Nun sind sie zu acht, drei junge Frauen, fünf Männer. Wie viel ehrenamtliche Arbeit in Zukunft auf sie zukommen wird, wissen sie nicht. Nur so viel: Bisher waren es Tausende, die jedes Jahr das
Innere der Fatih-Moschee sehen wollten. „Ziel“, sagt Baris Alayin, „ist es, alle Schulen zu informieren, dass es dieses Angebot gibt.“ Und nicht nur die – Zielgruppen sind auch die Polizei,
Feuerwehr, Kindergärten oder Stadtverwaltung. Mit der steht man ohnehin in engem Kontakt, denn neben der Moschee an der Eutinger Straße soll – wie schon länger geplant – ein islamisches
Gemeindezentrum entstehen.
Gebildet, integriert, fleißig und selbstbewusst, das sind sie alle. Aber sie wissen auch, dass es nicht genügt, sachkundig durch die Moschee zu führen. Auch im täglichen Leben sind sie so etwas
wie Dialogbeauftragte. Ohne fundierte Deutschkenntnisse, ohne Ausbildung ist der Weg in eine Richtung programmiert, die bei Zeitgenossen wie Thilo Sarrazin die Alarmglocken schrillen lassen. Auch
das versuchen die Schüler zu vermitteln. Für sich selbst haben sie die Richtung bereits gefunden: Muhammad Sahin will Betriebswirtschaft studieren, Baris Alayin Ingenieurwesen, Sefanur Yalcin
Mathematik und Gökce Tatar Wirtschaftsinformatik – oder Islamwissenschaft.
Kopftuch aus Überzeugung
Beide Schülerinnen tragen – damit waren sie beim Seminar übrigens in der Minderheit – Kopftuch. Beide gegen den ausdrücklichen Wunsch ihrer Väter.
„Mein Vater hatte Angst, dass ich deshalb Probleme bekomme“, sagt Sefanur Yalcin. Sie trägt das Kopftuch mit Stolz und aus Überzeugung – eine junge, bald deutsche Muslima mit
Migrationshintergrund. Eine neue Generation. Vielleicht Stoff für ein neues Buch.
Olaf Lorch-Gerstenmaier
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